Die Geschichte der „Fischerzunft Seligenstadt von 1546 e.V.“
Im Mittelalter war die Fischerei wie auch die Jagd ein kaiserliches Bannrecht, das von den Kaisern an die Landesherren verliehen wurde. Diese übertrugen die Rechte wiederum einem Staatsbeamten (Vogt) oder dem Abt eines Klosters.
„In einem Weisthum von 1430 – 1433 über die Gerechtsame der Abtei Seligenstadt im Gericht Klein Steinheim wird bestimmt, dass alle Fische im Main und in den Wasserbächen der Abtei gehören.“
Es ist nicht anzunehmen, dass der Abt das Fischen selbst betrieb, sondern Männer beauftragte diese Arbeit für das Kloster zu übernehmen, woraus vermutlich für sie und ihre Nachkommen ein Gewohnheitsrecht entstanden ist.
Wenn man in der Stadtgeschichte blättert, findet man schon im 13. und 14. Jahrhundert die Bestätigung einer aktiven Fischerzunft. Die bis heute verbliebenen Familien Acker, Beike, Beyke und Burkard gehen jedoch in der Auswertung ihrer Akten und Protokolle von einer Eintragung im Kerzenmeisterbuch aus dem Jahr 1546 als Geburtsjahr aus.
Zur Vorgeschichte kann folgendes festgestellt werden:
Das es Fischer schon vor 1546 in Seligenstadt gab, belegt nicht nur ein städtisches Zinsbuch von 1459. 1461 werden als städtische Aufsichtsbeamte über zum Verkauf angebotener Lebensmittel nicht nur die Fleischschätzer, Brot- und Hockenbeseher, sondern auch die „Kertzenmeister der Fischer-ruger“ genannt.
Die Steuerlisten im Stadtarchiv beweisen, dass die Fischerzunft schon vor 1546 bestand und das Ersterwähnungsjahr 1511 ist.
In dem von Marcellin Peter Spahn 1996 erschienen Buch „450 Jahre Fischerzunft Seligenstadt“ ist aus der Abhandlung „Die Geschichte der Aschaffenburger Fischerzunft im Verband der Koppelfischereigerechtigkeit, Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg“ von Joseph Gehlert zu lesen: „Die erste mir bekannte Erwähnung der Aschaffenburger Fischerzunft findet sich in einer Urkunde der Fischerzunft zu Seligenstadt aus dem Jahre 1396.“
Das Gründungsjahr könnte also getrost 2 Jahrhunderte früher festgelegt werden wie der Chronist Hubert Post zum 440 jährigen Geburtstag 1986 schreibt.
Im Jahre 1996 haben die Mitglieder der Seligenstädter Fischerzunft also mit Stolz auf das 450 jährige Bestehen ihrer 1546 erstmals aktenkundig genannten Standesorganisation geblickt. Von den im 18. Jahrhundert in Seligenstadt bestehenden zwölf Handwerkerzünften ist es allein den Fischern gelungen, allen Stürmen der Zeit zu trotzen und ihre Gemeinschaft vor der Auflösung zu bewahren, sodass das Zunftleben in unserer Stadt nie erlosch.
Noch im Jahre 1792 kennen wir 12 Zünfte mit über 400 eingetragenen Mitgliedern. Diese haben ihre Förderung und Reglementierung im Wesentlichen von den hiesigen Benediktinern erfahren. In der Abtei stand entlang des alten Klosterbaches ein Handwerksbau, in dem so manchem späteren Meister das Rüstzeug für seinen Beruf mit auf den Lebensweg gegeben wurde.
Die verantwortlichen Äbte haben in den rund 1000 Jahren des segensreichen Wirkens unseres Klosters verbindlich für die hiesige Fischerzunft das Recht festgelegt, ihren Lebensunterhalt im Main zu verdienen. Als Fanggründe galt gemäß Dokument der Fluss von der Grasbrücke bei Stockstadt bis zu neuen Graben Mainabwärts. (Heute ist die Genaue Bezeichnung von Kilometer 52,2 Mündung Hellenbach bis Kilometer 77,2 Mündung Gersprenz.)
Die benediktinische Gemeinschaft wie auch die hiesige Bevölkerung waren die treuen Kunden unserer Fischer. Bis in die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts fuhren sie donnerstags mit Schubkarren und „Brenke“ durch die Stadt, um ihren Fang zu verkaufen.
Weiter gilt es heute zu bedenken, dass nicht nur der Fischfang zum Aufgabenbereich und Lebensunterhalt unserer Fischerfamilien zählte. Es ist jederzeit in der Stadtchronik nachzulesen, dass auch ein regelmäßiger Schiffsdienst nach Mainz, der damaligen Landeshauptstadt und nach Frankfurt von den Mitgliedern der Zunft betrieben wurde. Auch hatten diese das Recht das Übersetzen über den Main zu bewerkstelligen. Das war ein offizieller Auftrag des Klosters. Das älteste Dokument, das dies belegt, wurde unter dem Abt Theoderich I. am 6.3.1299 gefertigt.
Dass heute lediglich die Familien Acker, Beike, Beyke und Burkard die rechtmäßigen Zunftträger sind, hat sich im 18. Jahrhundert vollzogen. In der Zeit davor gab es auch andere Namen in der Zunft. Nach den Kirchenbüchern starben die „Häuser“, die Fischer waren, aus.
Es gilt auch heute noch einen Blick in die Familienchronik der drei Sippen zu tun, um etwas über ihren jahrhundertelangen Weg zu erfahren.
Der älteste Stamm sind die BURKARD. Ob der in dem Stadtarchiv genannte Vogt und Ritter (milies) Burkard ein Mitglied der Sippe ist, muss recherchiert werden. Heinczichin wird im Jahr 1391 genannt. Ihm folgen 3 Namensträger Henne. Der letzte wird auch „Henge“ gerufen und ist als Fischer im Jahre 1493 in den Büchern der Stadt aufgeführt. Dass die Burkards verantwortliche Funktionen in der Stadt übernahmen ist daraus zu erkennen, dass Peter Burkard 1498/1499 erwähnt, die Fischrechte im Weyergarten lt. Bedregister besitzt und als Viztum bezeichnet wird. Dies ist ein hoher Beamter in der Hierarchie des Erzbistums Mainz. 1546 wird Adam Burkard I. Ratsherr. Im Sippenbuch von Dr. Seibert steht: „Die Burkartenn besitzen 1499 drei Häuser, 21 Morgen Feld, 2 ½ Morgen Weingarten und 7 ½ Malter Korngülte“. – Wohlhabende Leute aus heutiger Sicht. –
Als nächster Stamm sind die ACKER zu nennen. Sie werden von den Mönchen des Klosters aus Flandern hierher geholt. So wird Jakob Acker I. bereits 1544/1547 als Fischer und Schiffer genannt. Von 1680 bis 1712 ist Johann Kaspar Acker in den Annalen der Stadt als regelmäßiger Schiffer festgeschrieben. 32 Jahre zeichnet er verantwortlich für den Personen- und Warentransport nach Mainz.
Als Seligenstadt im 30jährigen Krieg 1618/48 bald auf 1/7 seine Bevölkerung zusammengeschmolzen war, kamen aus der Heimat des damaligen Abtes Leonhard Colchon, der dem Kloster von 1625 bis 1653 vorstand, aus Verviers die BEIKE, BEYKE nach Seligenstadt. Dass sich die Beike früher mit einem „Y“ und als Vallonen mit „que“ schrieben ist unumstritten.
In dem Buch von Marcellin Peter Spahn ist die wechselhafte und immer wieder ihr Recht einfordernde und verteidigende Fischerzunft Seligenstadt spannend nachzuvollziehen. Und dies änderte sich auch nicht im 20. Jahrhundert.
Gerade die Industrialisierung mit den einhergehenden Verschmutzungen, dem Schleusenbau und der Kanalisation des Mains haben die Kraft vieler Vorstandsmitglieder im vergangenen Jahrhundert, das, an der Gesamtgeschichte gerade erst vergangen und vielen von uns noch in guter Erinnerung ist, gefordert. Nicht zu vergessen die beiden Weltkriege.
Schon 1905 fasste der Vorstand den Beschluss, ein Gesuch an die Großherzogliche Hessische Regierung zu richten mit der Bitte einen Sachverständigen zu benennen „in Betreff der fischereischädlichen Abwässer und der Haftpflicht der Fabriken für den verursachten Schaden.“ Wegen der Kanalisation des Mains bemühten sich die Fischer, „dass ihnen in der Kanalkommission ein Vertreter ihrer Zunft als Beisitzer zugesichert wird.“
Wegen der Einberufung vieler aktiver Fischer fand seit dem Jahrtag 1914 keine ordnungsgemäße, beschlussfähige Versammlung statt. Erst im April 1919 nahm Peter Beike sein Amt als Schriftführer wieder auf. Erbitterte Kämpfe mit erheblichem persönlichem Engagement und Opfern um geforderte Entschädigung für verminderte Fangerträge, konnten nur auf dem Klageweg gelöst werden. Zugesprochene Entschädigungen führten dann zu inneren Streitigkeiten über die Verteilung, da nicht alle sich an den Kosten beteiligt hatten. Schließlich einigte man sich auch darüber.
Damit war der Kampf aber nicht beendet. Mainverschmutzung durch die Papierfabrik Stockstadt, preußische Gesetzgebung die Kontrollen nach sich zog, Beitragsfragen bei schlechtem Kassenbestand, Interessenlosigkeit der Mitglieder forderten viel Kraft.
Dann kam die Machtübernahme des NS-Staates. Es war unvermeidlich, dass dem Geist des NS-Systems Rechnung getragen werden musste. Der Zunftvorstand wurde nicht mehr gewählt sondern bestimmt. Meinungsverschiedenheiten führten zu Spannungen unter den Mitgliedern. Einzelheiten sind im Protokollbuch nicht verzeichnet. Es ist anzunehmen, dass die Gründe im Politischen zu suchen sind.
Kulturell war die Fischerzunft in diesen Jahren eine feste Größe in der Stadtgeschichte, besonders nach der Gründung des Heimatbundes 1936 und den folgenden Heimat- und Geleitsfeste.
In den Kriegsjahren waren bis 1944 vierunddreißig Zunftmitglieder eingezogen. Während dieser Zeit nahm die Wildfischerei überhand und machte den verbliebenen Fischern das Leben schwer.
Zusammenbruch des Deutschen Reiches, Militärregierung der Alliierten, Änderung der Statuten, Gängelung der US-Besatzungsmacht bestimmten die ersten Nachkriegsjahre.
Ab 1947 erhielt die Fischerzunft das Recht 200 Angelkarten zu verkaufen. Wegen der angespannten Ernährungslage „sollten die Fischer alle gefangenen Fische abliefern, die durch ein Fischgeschäft der hungernden Bevölkerung zugeteilt werden.“
Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 und dem beginnenden „Wirtschaftswunder“ brachte den Fischern nicht nur Vorteile sondern auch große Probleme. Auseinandersetzungen wegen negativer Einflüsse auf das Mainwasser und die Flusslandschaft, verursacht durch neue Industrieanlagen wie der Papierfabrik Stockstadt, dem Atomkraftwerk der RWE in Großwelzheim, dem Kraftwerk Staudinger Großkrotzenburg forderten vom jeweiligen Zunftvorstand großen persönlichen Einsatz. Immer wieder gab es große Fischsterben, die nicht nur von ungünstigen Wetterlagen herrührten, wie die Verwaltungen der Konzerne gerne behaupteten, sondern ihre Ursache im Mangel an Kläranlagen zum Reinigen der Abwässer zu suchen waren. Ganz besonders war der Widerstand gegen das Atomkraftwerk. Die Frage die sich immer wieder stellt war, prozessieren oder verhandeln. Man entschied sich für letzteres und damit für ein erfolgreiches Miteinander bis zum heutigen Tag.
Durch die Industrialisierung haben sich die Zünfte aufgelöst. Die einzigen, die Tradition und Berufsehre wahrten, waren und sind die Fischer.
Ein Grund 1986 das 440 jährige Jubiläum zu feiern. Volksfeststimmung herrschte auf den Mainwiesen am Palatium am ersten Tag des Festes, dass vom Heimatbund und vielen angeschlossenen Vereinen mitgetragen wurde. Ein weiterer Höhepunkt war die Einweihung des restaurierten Waagsteins an der Mainfähre, wo die Fischer in früheren Zeiten ihre Fische wogen und verkauften.
Die Fischereirechte der Zunft Seligenstadt konnten bisher gegen alle Versuche der Aberkennung (auch durch die Machthaber des 3. Reiches) verteidigt werden. Selbst ein Prozess des Freistaates Bayern zur Beschneidung der Rechte der Seligenstädter Zunft scheiterte an dem Reskript der Kurfürstlichen Hohen Landesregierung vom 10. Juli 1789.
Nach dem im Dezember 1990 in Kraft getretenen Hessischen Fischereigesetz musste jeder Fischereiberechtigte für seinen Bezirk einen Hegeplan zur Genehmigung einreichen. Diese Hegepflicht und die Bewahrung der Traditionen ist heute die vordringlichste Aufgabe der Fischerzunft.
Die Bewahrung unserer verbrieften Rechte, die Versorgung der Bevölkerung mit genießbaren Mainfischen und die Wahrnehmung des Naturschutzes sind heute und auch in der Zukunft unsere obersten Ziele.
(Auszüge des Chronisten Hubert Post zum 440. Geburtstag 1986 und aus dem Buch „450 Jahre Fischerzunft Seligenstadt“ von Marcellin Peter Spahn 1996, zusammengefasst und ergänzt von Christoph Burkard)